Unser Kollege Wolfram Brugger, SOS-Kinderdorfleiter am Standort Innsbruck erinnert sich: „Ab Mittag erhöhte wurde ich laufend informiert: `Kinder haben österreichisch-tschechische Grenze passiert, sind am Walserberg, in Kufstein/Kiefersfelden, kommen gleich an`. Wir alle waren vorfreudig gespannt, gleichzeitig auch innerlich angespannt. Wie wird es den Kindern gehen? Nach den Erfahrungen durch den Krieg in ihrer Heimat? Nachdem sie ihr gewohntes Umfeld verlassen und sich auf die Reise in ein fremdes Land machen mussten? Auf fremde Menschen treffen, deren Sprache nicht verstehen, in eine ungewisse Zukunft blicken? „Umso wichtiger war es und Voraussetzung, dass wir die Kinder aufnehmen konnten, dass sie von ihren vertrauten Betreuerinnen begleitet wurden und hier weiter betreut werden!“ sagt Brugger.
Bunte Luftballons, Herzlich-Willkommen-Plakate auf Ukrainisch, Englisch, Deutsch, wichtige Infos in den drei Sprachen auf jedem Zimmer und Dolmetscherinnen für eine gute Kommunikation hiessen die Mädchen und Buben willkommen. Etwas zögerlich stiegen nach und nach die Kinder und Betreuerinnen aus den Bussen, wurden von Efendi Onay, welcher bei SOS-Kinderdorf minderjährige Flüchtlinge betreut sowie zahlreichen SOS-Kinderdorf Mitarbeiterinnen herzlichst empfangen und konnten nach langer, anstrengender Fahrt ihren Hunger und Durst stillen. Einige der Kinder, v.a. die kleinen Mädchen und Buben, nützen gleich die vorbereiteten Spiel- und Malmöglichkeiten. Parallel wurden alle auf ihre Zimmer geführt: 52 Kinder/Jugendliche und ihre Betreuerinnen waren gut angekommen und in Sicherheit. Das war das Wichtigste!
Während in der Hermann-Gmeiner-Akademie die Infrastruktur vorhanden war und es in erster Linie organisatorische Vorbereitungen brauchte, war die Ausgangslage im SOS-Kinderdorf Imst eine andere: Alles musste neben dem laufenden Betrieb und der Betreuung der über 50 Kinder und Jugendlichen im Dorf parallel geschehen. Im Gebäude für ehemalige SOS-Kinderdorf-Mütter war viel mehr zu adaptieren: allein auf die Schnelle für eine funktionierende Heizung zu sorgen oder Betten für 50 Kinder rechtzeitig zu bekommen und aufzubauen war in Zeiten von Lieferverzögerungen eine grosse Herausforderung.
So musste die Gruppe interimistisch in einem Hotel in Imst untergebracht werden und konnte erst nach zehn Tagen am 3. April ins SOS-Kinderdorf übersiedeln. „Keine einfache Situation für beide Seiten“, sagt Wolfram Brugger. „Es war in Imst sicher schwieriger, die Herausforderungen grösser, infrastrukturell und pädagogisch: Die Kinderanzahl im Dorf hat sich schlagartig verdoppelt! Trotzdem ist es gelungen, dass Kinder und Betreuer*innen nun eine sichere Unterkunft haben, gut versorgt sind und sich immer besser ins Dorfleben integrieren und hier wohl fühlen“, freut sich Brugger. „Dafür ein ganz grosses DANKE an alle Unterstützerinnen und helfenden Hände, die tatkräftig angepackt und mitgeholfen haben!“
Alle 102 Kinder und Jugendlichen konnten durch die Unterstützung der UNI Klinik Innsbruck sowie zahlreicher Arztinnen und Ärzte rasch medizinisch untersucht und betreut werden und in der Folge alle behördlichen Massnahmen für den Schulbesuch mit den verantwortlichen Stellen und Schulleitungen geregelt werden. Inzwischen gehen alle Kinder und Jugendlichen, in verschiedene Volks-, Mittelschulen und aufs Gymnasium. Für die Kleinkinder wurden vorerst interne Kindergarten-Lösungen gefunden.
Es ist ein Riesenvorteil, dass beide Standorten über große Sport- bzw. Spielplätze für Aktivitäten draussen verfügen. Dreirad-, Roller- Radfahren, Laufen, Springen oder Fussballspielen ist inzwischen alltäglich, in Imst auch mit Kindern aus dem SOS-Kinderdorf. Dazu gibt es eigene Räume für kreatives Spielen, Malen, Lesen, Musizieren etc. „Würde man nicht ständig den Krieg im Hinterkopf haben, sieht es oft einfach nach fröhlich spielenden Kindern aus,“ so Wolfram Brugger und Efendi Onay einhellig. „Es ist gut, dass Kinder oft rasch und intensiv im Spiel versinken und anderes vergessen.“
„Die großen ersten Hürden sind geschafft“, freuen sich Wolfram Brugger und Efendi Onay mit allen anderen an der Ukraine-Hilfe in Tirol Beteiligten. „Wir konnten gemeinsam rasch und unbürokratisch alles in die Wege leiten und umsetzen. Trotzdem tauchen jeden Tag neue, oft unerwartete Themen und Herausforderungen auf. Die Sprache und Kultur, unterschiedliche Rahmenbedingungen und Erfahrungen in der Betreuung benötigen viel Austausch und vertrauensvolle Gespräche für gegenseitiges Verstehen und Verständnis. „Je nachdem, wie lange der Krieg noch andauert, wird es mittel- und langfristig zudem weitere umfangreiche Förder- und Integrationsprogramme brauchen und wird es um die Klärung finanzieller Leistungen gehen, z.B. auch für die Betreuungspersonen aus der Ukraine.